Palmen Ecketagère oder Eckservante

wohl Berlin, um 1820-25

Mahagoni furniert, Holz geschnitzt, gefasst und vergoldet. Galerien aus feuervergoldeter Bronze, Spiegelglas.

Höhe: 182 cm
Breite: 100 cm
Schenkeltiefe: 68 cm Inv. Nr.: 2097

Die offene Servante mit dreiseitigem Grundriss und segmentförmige Vorderseite. Die Ecksäulen sind in Form von plastisch skulptierten Palmenbäumen gearbeitet, der Stamm ist dunkelgrün gefasst, die Blätter vergoldet. Zwischen diesen Pfosten befindet ein unterer Sockelkasten mit zwei Flügeltüren (die durch Drücken eines Knopfes mit Federdruck aufspringen), sowie insgesamt vier Stellflächen, die jeweils durch eine sehr fein ziselierte Galerie aus feuervergoldeter Bronze eingefasst sind. Die Rückwände sind verspiegelt, im Zentrum aufwendig geschnitzte und vergoldete Blatt- und Blütenornamente.

Den oberen Abschluss bildet ein Kransgesims mit flachem Dreiecksgiebel und abgestepptem Aufsatzkasten, zur Aufnahme einer Büste oder Blumengestecken. Am Gesims, Sockel, sowie der untersten Stellfläche und Deckenabschluss gibt es weitere holzgeschnitzte und vergoldete Zierleisten.

Mit der Kombination von Mahagoni und vergoldeten und gefassten Palmbäumen entspricht dieses Möbel stilistisch noch sehr viel mehr dem Empire als der Formensprache des Biedermeier. Die exklusive Ausschmückung mit exotischen Palmenbäumen und kostbarem Mahagoni lässt auf einen höfischen Auftrag schließen.

Ein Berliner Entwurf - Ludwig Wilhelm Wittich

Der Berliner Kunsthändler und Verleger Ludwig Wilhelm Wittich (1773-1832) publizierte zwischen 1823 und 1830 ein Tafelwerk von exemplarisch geschmackvollen Möbel- und Einrichtungsentwürfen aus der Zeit mit dem Titel „Magazin für Freunde eines geschmackvollen Ameublements“. Die von Louis-Marie Normand und Ferdinand Jättning gestochenen Tafeln zeigen luxuriös bezogene Sitz- und Liegemöbel, Sekretäre, Kommoden, Vitrinen, Tische, Kleinmöbel , die den verfeinerten Geschmack der Empire- und Biedermeierzeit auf das Gültigste dokumentieren.. Die ersten Lieferungen des Magazins erschienen 1823 noch mit dem Hinweis: „zunächst für Tischler und Ebenisten“.

Im siebten Heft, ist unter der Nummer 39 ein Entwurf dieser Eckservante abgebildet und wie folgt beschrieben: Eine Eckservante mit einem Spiegel in der Rückwand, die drei Seiten von Glas. Unten befindet sich ein kleines Spindchen zum Aufbewahren des Silberzeugs. Die Palmenstämme von grüner, die Blätter von Goldbronze. Darunter gib es eine Maßangabe mit einer Breite von „4 Fuß “. Die Abbildung zeigt bereits einen Alternativentwurf: auf der linken Seite mit Tür, die rechte Seite als offene Servante gestaltet. Auch in der Ausführung, der hier vorgestellten Eckservante, gibt es einige Abweichungen zum Beispiel im Eingerichte oder in der Ornamentik; Vorlagenwerke waren für Kunsthandwerker oft eine Art Mustermaterial ohne sich stringent daran zu halten.

Das Möbel weist bestimmte Parallelen und Übereinstimmungen zu Berliner Möbeln dieser Epoche auf, zum Beispiel palmstammartige Tisch- und Kommodenfüße in Holzbronze, grün patiniert und vergoldet .

Der Berliner Kunsthändler Wittich publizierte den vorliegenden Entwurf in seinem Tafelwerk, und auch wenn leider nicht bekannt ist, wer dieses Möbelstück entworfen hat, so scheint eine Zuschreibung an einen Berliner Ebenisten nahe liegend.

Vergleichsstücke

Aus einer Publikation ist ein Salontisch auf Schloss Friedenstein, Gotha bekannt, dessen Beine in Ihrer Ausschmückung, den Ecksäulen dieser Eckservante in Palmenbaumform sehr ähnlich sind. Zu dem Salontisch in Schloss Friedenstein gab es außerdem noch dazugehörige Stühle. Man kann also vermuten, dass es sich um ein ganzes Zimmer gehandelt hat – vielleicht gehörten auch ein oder zwei solcher Eckservanten zu der ursprünglichen Ausstattung.

Der Kunsthistoriker Josef Folnesics publiziert in seinem 1903 erschienenen Buch über Innenräume der Empire- und Biedermeierzeit außerdem ein nahezu identisches Vergleichsstück, welches zum Inventar von Schloss Győry in Perkáta gehörte.

Anmerkung zur Möbelform

In die Privatsphäre des frühen 19. Jahrhunderts lässt uns ein völlig neuer Möbeltyp im Bereich des Wohnraums – die Etagere oder die Vitrine – blicken. Dingen, die bis vor kurzem noch keine Sprache hatten, wird nun erlaubt, an der Konversation der Menschen teilzuhaben. Der Mensch stellt Gegenstände in den Mittelpunkt seines Alltags, die die vorhergehende Generation erst durch ihren Gebrauch zum Leben erweckte. Plötzlich sind sie allgegenwärtig und sprechen zu uns. Bis dahin nur Hilfsmittel zur Bewältigung alltäglicher Funktionsabläufe, werden sie nun am Leben beteiligt. Man umgibt sich mit ihnen wie mit alten Freunden. Neben Kaffee- und Teetassen stehen Bücher, Teller, Porträts, Souvenirs oder Kleinskulpturen. Sie werden für das Auge sichtbar auf oder in eigens dafür erdachten offenen Etageren und geschlossenen Glaskästen im Wohnraum nicht ohne Stolz zur Schau gestellt.

Diese Präsentationsart bedient zweierlei Bedürfnisse: die persönliche Gefühlswelt und die persönliche Bequemlichkeit. In dem Maß, in welchem der Gebrauchsgegenstand zum öffentlichen Träger individueller Gefühlswelten geworden ist, will man sich seiner ohne die Hilfe eines Dienstboten bedienen. Er ist gleichsam permanent angerichtet und serviert. Nicht umsonst gibt es bis in die 1840er Jahre im Deutschen noch nicht die Bezeichung »Vitrine« für den verglasten Schaukasten, sondern heißt »Servante« oder »Stummer Diener«.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Vitrinen und Etagèren oft auch als Eckschränke hergestellt, um mit ihnen, dem Geschmack der Zeit folgend, die Zimmerecken zu kaschieren.

Literatur zum Vergleich:

  • Ausstellungskatalog, Biedermeier – Erfindung der Einfachheit, herausgegeben von Hans Ottomeyer, Klaus Albrecht Schröder und Laurie Winters, Ostfildern 2006.
  • Folnesics, Josef, Innenräume und Hausrath der Empire und Biedermeierzeit, Wien 1903.
  • Himmelheber, Georg, Deutsche Möbelvorlagen 1800-1900, München 1988.
  • Luthmer-Schmidt, Empire- und Biedemeiermöbel, F. Bruckmann München, 1922.
  • Stiegel, Achim, Berliner Möbelkunst vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin, 2003.
  • Wittich, Ludwig Wilhelm (1773-1832), Hrsg., Magazin für Freunde eines geschmackvollen Ameublements, Berlin 1829.
  • Zinnkann, Heidrun (Hrsg.), Der Feine Unterschied, Biedermeiermöbel Europas 1815-1835, 2007.