Nachtlicht-Uhr
Stobwasser Manufaktur
Braunschweig oder Berlin, um 1800
Zinn, gegossen und montiert, rot lackiert, mit goldfarbenem Dekor bemalt; Email, Messing und feuervergoldete Bronze; Holz mit marmorierter Fassung.
Höhe: 46 cm
Sockel: 15 cm x 15 cm Inv. Nr.: 2011
Die Nachtlichtuhr in Gestalt einer klassizistischen Deckelvase mit rundem Standfuß auf quadratischer Plinthe mit Holzkern, montiert auf gestuftem Holzsockel, ist eine höchst dekorative Tischuhr; darüber hinaus bietet sie die besondere Funktion, bei Dunkelheit die Zeit auf eine Wand zu projizieren. Das Licht einer Öllampe wird von einem auf der Uhrwerksrückseite montierten, konkaven versilberten Zifferblatt, in der Art eines Hohlspiegels, reflektiert und durch eine Linse im regulierbaren Messingzylinder fokussiert.
Die Erfindung der bei Nacht beleuchteten Uhren geht auf den Instrumentenbauer und Uhrmacher Campani aus Rom zurück. Vom neugewählten, unter Schlaflosigkeit leidenden Papst Alexander VII. ist ein Aufruf aus dem Jahr 1655 überliefert: „Könnte doch jemand eine Uhr erfinden, die mir auch nachts die Zeit anzeigt! Eine Uhr, bei der man nicht erst eine Kerze anzünden muß, um das Zifferblatt zu sehen und die kein Geräusch von sich gibt – mit all den bewegten Rädern, die einen die Nacht lang wach halten.“ Am 30. August 1659 wurde Guiseppe Campani vom Papst als Erfinder dieses Uhrentyps bestätigt; 1660 wird ihm vom Großherzog der Toscana ein zehnjähriges Privileg zur Herstellung von Nachtlichtuhren erteilt.
Die geforderte deutliche Ablesbarkeit der Zeit wurde erreicht durch die Beschränkung auf ein Segment von nur wenigen, durch das gebündelte Licht einer Öllampe hinterleuchteten Zahlen. Campanis Nachtlichtuhren sind zeigerlose Projektionsuhren mit rotierenden Glasscheiben und Ziffernmarkierungen; sie basieren auf dem Prinzip der ‚laterna magica’, einer Art Vorführapparat von Bildern, unter Einsatz einer künstlichen Lichtquelle. Bald darauf war die Nachtuhridee große Mode.
Doch mit der Erfindung des Repetiermechanismus im ausgehenden 17. Jahrhundert konnte man jederzeit auf akustischem Wege die genaue Zeit abrufen; damit ging das Interesse an Nachtlichtuhren deutlich zurück. Erst in der Zeit um 1800 wird die Zeitmessung für das sich formierende Bürgertum und die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung von zunehmender Bedeutung. Die Idee einer Nachtlichtuhr wird wieder entdeckt und weiterentwickelt; dieser Uhrentypus weicht in der Konstruktion und in der Art der Zeitanzeige bei Nacht deutlich von den früheren Uhren ab.
Journal des Luxus und der Moden
Im April des Jahres 1803 wird das Prinzip einer Nachtlichtuhr im Journal des Luxus und der Moden, herausgegeben von Friedrich Justin Bertuch, Weimar, als Erfindung des Uhrmachers P. J. Eckhardt, Braunschweig, unter Rubrik XI.Ameublement, bekannt gemacht:
„Nachtuhren von dem Uhrmacher Hrn. P. J. Eckhardt in Braunschweig erfunden: Die Kupfertafel (Taf. 12) liefert die vordere Ansicht einer Uhrurne, die des Nachts große Bequemlichkeit darbietet. Hinter dem vordern hier allein zu sehenden Zifferblatte befindet sich noch ein andres, welches in das Innere der Urne geht, und zugleich als Hohlspiegel dient, auf welchem die Ziffern gleichfalls gestochen sind. In der Mitte der Urne steht eine Lampe. Dem Ziffernblatte gegenüber auf der hier nicht abgebildeten Kehrseite ist eine Oeffnung in der Urne, in welcher sich ein Auszug mit einem Vergrößerungsglase befindet. Wird nun die Lampe angezündet, so wirft der Hohlspiegel den Schein auf das Vergrößerungsglas an der Wand, zeigt auf diese Art in einem mehr als 2 Fuß großen Umkreise auf das pünktlichste Stunde und Minute. Folgende Ankündigung von dem kunstreichen Erfinder wird Liebhabern eines so nützlichen Meuble’s ohnstreitig angenehm seyn.Unterzeichneter macht hiermit bekannt, dass er die seit kurzem erfundenen Nachtuhren verfertiget. In Gestalt einer schön lakirten und mit Bronze gezierten Urne leisten sie bei Tage den Gebrauch einer geschmackvollen Tischuhr, bei Nacht zeigen sie durch eine in der Urne angezündete Lampe vermöge eines ebenfalls in derselben angebrachten Hohlspiegels, auf welchem sich Zeiger befinden, Stunden und Minuten, so dass man jedesmal bei dem Erwachen genau wissen kann, wie viel Uhr es ist. Der Preis einer solchen Uhr ist 30 Thlr.; jedoch gebe ich sie an Kaufleute, welche wieder damit handeln, im Dutzend auch wohlfeiler. Die Bestellungen bitte ich mir in postfreien Briefen aus. Braunschweig, im Nov. 1802. P. J. Eckhardt, Uhrmacher.“Die Nachtuhren der Stobwasser Manufaktur sind höchstselten auf uns gekommen. Bekannt sind zwei Vergleichsbeispiele mit charakteristischen Konkordanzen in Material, Gestaltung und Motiv; eine im Städtischen Museum Braunschweig und eine weitere aus einer Privatsammlung in Braunschweig.
Uhrwerk
Die Nachlichtuhr wird von einem typisch französisch-schweizerischen Taschenuhrwerk der Zeit um 1800 betrieben; im Innern der Vase, auf der Werksrückseite ein versilbertes Zifferblatt mit Stunden I-XII, Minuterie 30-60 und Zeiger in Breguet-Form; Spindelhemmung, Antrieb mit Schnecke und Kette; 30 Stunden Gangdauer; Emailzifferblatt mit arabischen Stunden- und Minutenzahlen, 15-60, signiert: Mermillon à Geneve.
Stobwasser Manufaktur
Die Firmengründung jährte sich 2013 zum 250. Mal. Die historische Bedeutung und Berühmtheit der Lackwarenmanufaktur Stobwasser, die sich im Jahr 1763 aufgrund des Privilegs von Herzog Carl I. in Braunschweig niedergelassen hat und Ende 1772 mit einer Zweigniederlassung in Berlin, wird in beispielhafter Weise durch Archivalien belegt, auf die Richter rekurriert1: danach zählte das Weimarer Fürstenhaus zur Kundschaft der renommierten Lackwarenkünstler; auch der Zarentochter Maria Pawlowna (1787-1859) waren die Lackwaren Stobwassers aus den Interieurs der Schlösser in und um St. Petersburg vertraut; ebenso umfangreich lieferte Stobwasser an die Preußischen Schlösser. Aber auch das gehobene Bürgertum, beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller oder E.T.A. Hoffmann sind als maßgebliche Protagonisten der Stobwasser’schen ‚Bilderfabrik’ anzuführen.
Im deutschen Sprachraum war die Nachtlichtuhr von Stobwasser die erste, mit der eine Projektion der Gesamtansicht des Zifferblattes mit Zeigerwerk möglich wurde. Mit dem Gussmaterial Zinn hatte die Manufaktur Stobwasser eine bemerkenswerte Formschärfe erreicht, die von einem Bronzeguß nicht zu unterscheiden ist; ihr klarer, dominanter Kontur spiegelt die ästhetischen Formideale des reifen Klassizismus. Die vorgestellte Nachtlichtuhr der Manufaktur Stobwasser ist ein vollständig und funktionsfähig erhaltenes, absolut seltenes Sammlungsstück.
1 Richter, Detlev, Stobwasser, Lackkunst aus Braunschweig & Berlin, Museum für Lackkunst, Münster; 2005, S. 85 f.