Sechseckige Horizontal-Tischuhr
Friederich Hübner, Bremen
Bremen, um 1645
Ebenholz auf Eiche furniert. Messing feuervergoldet, Kupfer versilbert, Bronze, Stahl, und Glas. Gegossen, Gesägt, graviert, gedreht und ziseliert.
Höhe: 11,5 cm | Durchmesser: 19,5 cm | Sechskantlänge: Sockelprofil : 9,6 cm | Gesimsprofil: 8,7 cm
Provenienz: Alte Privatsammlung Frankreich: Marquise de Montault. Château de La Ferté-Fresnel, Orne, Normandie.
Inv. Nr.: 1800
Auf der Rückplatine in Kursiv graviert, signiert: Friderich Hübner, Bremen
Friedrich Hübner[1], erwähnt 1630-1648 († 8.10.1648) in Bremen.
Die Mobilisierung der Uhr:
Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts wurden die meisten Städte und Schlösser mit öffentlichen Uhren ausgestattet. Danach setzte erst sehr allmählich die Herstellung von kleineren, nicht-öffentlichen Uhren ein.
Die Horizontaltischuhr repräsentiert einen Uhrentyp, der bereits vor 1500 entwickelt wurde. Dabei kann das Werk eine runde oder polygonale Grundfläche haben und das Gehäuse, dazu korrespondierend, zylindrisch oder prismatisch sein. Die Grundvoraussetzung für solche Uhren war der Ersatz des Gewichtantriebes, der einen festen Standort voraussetzt, durch einen mobilen Antrieb. Die Erfindung der Antriebsfeder in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war die Grundvoraussetzung für die Mobilisierung der Uhr. Die lange, spiralig aufgewickelte Stahlfeder, speichert die Energie, um das Uhrwerk viele Stunden lang anzutreiben. Dieser Uhrentyp in seiner flachen Form und handlichen Größe kann jetzt überall aufgestellt werden.
Das Gehäuse:
Das Zentrum für die Herstellung der Gehäuse in Ebenholz ist seit dem frühen 17. Jahrhundert die süddeutsche Stadt Augsburg. Ebenholz war das kostbarste und begehrteste aller Hölzer. Es wurde deshalb täuschend durch andere Holzarten ersetzt, häufig durch das in seiner dichten Struktur dem Ebenholz gleichende Birnbaumholz, das man schwarz beizte. Um diesen Betrug zu unterbinden, wurde in Augsburg 1625 erlassen, daß echtes Ebenholz mit dem Stadtwappen „Augsburger Pyr“ („Hopfendolde, Zirbelnuß oder Pinienzapfen“)[2] und dem Wort EBEN zu stempeln sei.[3] Die Stempelung durch den Schaumeister hatte „an den fürnemsten Orten“ (an sichtbarer Stelle) des Werksgehäuses zu erfolgen.

Es werde so viel „gebaist Birnbäumin Holtz under Eben gearbeitet und vermischt, wodurch die Handlung geschmelert und das Lob und Kundschaft dieser weltberiemten Reichsstatt, wegen dergleichen und anderen Künsten, merklich geringert werde. Es ist ein Arbeit, die man weit und fern (sic!) verschickhen tuet.“[4]
Deshalb überwachte man die Qualität der Erzeugnisse, damit keiner durch schlechte Ware einen Vorteil gewann. Hier traf sich das Interesse der Zunft mit dem Allgemeininteresse. Die Sozialnorm des gerechten Preises war stark, und jede kirchliche Strafpredigt wider ungerechte Bereicherung schärfte sie ein.
Der hier zugrundeliegende Handel mit Fertigteilen zwischen den geographisch weit auseinanderliegenden Freien Reichsstädten Augsburg und Bremen, während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, mag aus heutiger Sicht überraschen; Er kann vergleichsweise an der Löwenuhr (um 1630/40)[5], aus dem Bayerischen Nationalmuseum München belegt werden: Auch hier trägt der Ebenholzsockel die Augsburger Stempelungen, die das kostbare Holz garantieren; Jedoch ist das Uhrwerk von „Philipp Trump in Crailsheim“ signiert.
Das hexagonale Werksgehäuse aus Ebenholz mit umlaufendem Sockelprofil ruht auf vergoldeten Messingfüßen, den gedrehten drei Stand- und drei Zierfüßen. Den oberen Abschluß bildet ein sorgfältig profiliertes Kranzgesims aus Ebenholz mit zwei eingeschlagenen Stempeln.[6] Die sechs Seitenflächen mit ausgesägten längsrechteckigen Fensteröffnungen und aufgeschraubten, verglasten Messing-Profilrahmen. Die Fenster eröffnen den Einblick auf das Werk und dienen der Beobachtung des Räderwerks und der Kontrolle, etwa der gleichmäßigen Aufspulung der Spindelkette.
Das Zifferblatt:
Auf der Oberseite befindet sich die eingelassene vergoldete Blindplatine mit aufgelegtem versilbertem Ziffernring aus Kupfer mit gravierten, schwarz ausgelegten römischen Stundenzahlen, I-XII. Den Ziffernring umgibt eine Lünette aus vergoldetem Messing; Im Zentrum eine floral gravierte, vergoldete Weckerscheibe mit arabischen Stundenzahlen, 1-12, und der balusterartig konturierte Stundenzeiger aus gebläutem Stahl, mit tulpenförmiger Spitze.
Das Werk:
Das Werk hat die wichtigsten Funktionen einer Horizontaltischuhr des 17. Jahrhunderts: Das Stundenschlagwerk und das Weckerwerk mit Doppelhammer und Schlag auf der Innenseite der Silberbronzeglocke. Sechseckige Messingplatinen, säulenförmige Werkpfeiler mit profilierten Kapitellen und Basen, Gehwerk mit Spindelhemmung, Schnecke und Kette.
Hervorzuheben sind die außerordentlich sorgfältig gearbeiteten Verzierungen und Gravuren und die sehr gut erhaltene originale Feuervergoldung aller sichtbaren, teilweise ornamental durchbrochen gearbeiteten Bauteile.
Die Bremer Uhr von Hübner zeichnet sich aus durch ihren sehr guten Erhaltungszustand und zuverlässigen Funktionsablauf. Ein international anerkannter Restaurator für historische Uhren, bekannt durch seine Buchpublikationen und Arbeiten für Museen, hat das Uhrwerk dokumentiert und einer eingehenden Revision unterzogen. Dieses Exposé wird auf Wunsch gerne zugesandt.
Die Uhr als Bedeutungsträger:
Die Einführung öffentlicher Uhren setzte für das gesellschaftliche Leben den einzig relevanten Zeitstandard, mit dessen Hilfe nicht nur öffentliche Termine, sondern auch private Verabredungen im Stunden- oder Halbstundenrhytmus kalkulierbar vorausbestimmt werden konnten.
Die Anschaffung einer in jedem Fall höchst kostbaren (privaten) Uhr lohnte sich jedoch nur für diejenigen, die viele Termine hatten. Die Tischuhr mit waagerechtem Zifferblatt wurde zum beherrschenden Zeitmesser. Als Besitzer von Horizontaltischuhren kommen im 16. und 17. Jahrhundert neben dem Adel nur das Patriziat in Frage: Kaufleute, die in Städten wie Bremen die politisch führende Gesellschaftsschicht waren.
Eine vielleicht wichtigere Motivation zum Kauf einer Uhr war aber das Bedürfnis nach Repräsentation. Wenn nur wenige Menschen, deren Zeit von Geschäftspartnern oder von einem Amt (Ratsherr) gefragt war, eine Uhr brauchten, so dokumentierte umgekehrt der Besitz dieses exklusiven Luxusgegenstandes die Zugehörigkeit zum Kreis der wichtigen, gefragten Personen der gesellschaftlichen Oberschicht. Der Inhaber eines hohen Amtes machte durch den Besitz einer Uhr deutlich, daß seine Zeit kostbar war. Der Kaufmann bewies durch seine Uhr, daß er ein gefragter Geschäftspartner war und gleichzeitig spiegelte der Wert seiner Uhr die Zahlungsfähigkeit seines Unternehmens.
Voraussetzung war, daß die Uhr von den Adressaten der Botschaft gesehen wurde. Die Uhr auf dem Tisch konnte von Verhandlungspartnern nicht übersehen werden, sie war in die Perspektive der Adressaten gerückt.
Die hohe Wertschätzung, die Uhren in dieser Zeit erfuhren, zeigt sich auch auf Darstellungen in der Malerei. In den Gemälden von Simon Peter Tilmann, datiert 1647, lässt sich deshalb das Bremer Kaufmannspaar Eelking mit einer Horizontaltischuhr porträtieren.
Lebensnähe und Vergänglichkeit werden von den beiden Pendantgemälden aus der Sammlung des Focke-Museums sinnbildlich dargestellt. Der Totenschädel als Attribut und Hinweis auf die Nichtigkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, neben dem Attribut der Uhr als Synonym für das Diesseitige, im Gegensatz zum Ewigen. Weil die Lebenszeit abläuft wie ein Uhrwerk, ist dies der Hinweis auf den sinnvollen Gebrauch der verbleibenden Zeit.[7]
Die geschichtliche Bedeutung der Hübner Uhr:
Die jüngst wiederentdeckte Horizontaltischuhr gehörte vermutlich zu einer Gruppe von Uhren, die Hübner im Auftrag des Bremer Rates anfertigte, der sie als ‚diplomatische Geschenke’ in den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden einsetzte; Die Annahme wird u. a. auch gestützt durch Reparaturvermerke im Werk, allesamt in französischer Sprache, die früheste Signatur mit der Datierung ‚1704’. Dies kann als Beleg dafür gelten, daß die Tischuhr tatsächlich kurz nach ihrer Fertigstellung als diplomatisches Geschenk nach Frankreich gelangte. Nach über 360 Jahren ist sie jetzt von dort zurückgekehrt und könnte endgültig für Bremen gesichert werden.
Grohne[8] zitiert aus den bremischen Rhederbüchern[9] des Jahres 1645: „Friedrich Hübner für eine sehr schöne Zeiguhr, so Dr. Coch (*1601 – †1660, Professor und Ratsherr in Bremen)[10] mit sich nach Osnabrück genommen, um dieselbe dem Churbrandenburgischen Abgesandten Freiherrn von Lewenstein zu verehren – 90 Gulden;“ und 1647: „Dem Uhrmacher Friedrich Hübner für drei kleine Zeiguhren, so H. Dr. Coch mit nach Osnabrück genommen – 24 und 18 Gulden, um die Reichsstandschaft Bremens zu sichern.“ Hübner stirbt nur zwei Wochen vor Unterzeichnung der letzten Friedensverträge, die in ihrer Gesamtheit zwischen dem 15. Mai und 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück geschlossen wurden.
Provenienz:
Alte Privatsammlung Frankreich. Marquise de Montault. Château de La Ferté-Fresnel, Orne, Normandie.An der Unterseite des Werksgehäuses Kleisteretiketten: Succession de Mme la Marquise de Montault. Nachlassversteigerung 21. /22. Mai 1906.
Würdigung:
Die außergewöhnlich seltene, ja einzigartige Horizontaltischuhr von Friedrich Hübner ist ein Sammlungsstück von herausragender kulturhistorischer Bedeutung; Sie ist geeignet in eine öffentliche Sammlung aufgenommen zu werden, die nach wissenschaftlichen Grundsätzen geführt wird. Die Bedeutung für die Stadtgeschichte Bremens offenbart sich in ihrer Funktion eines diplomatischen Geschenkes bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden.
Aber noch ein ganz anderer, bedeutsamer kunsthistorischer Aspekt wird durch Signatur und Schlagstempel auf exemplarische Weise belegt. Zum ersten Mal gelingt es, bereits für die Zeit um 1645, inmitten des Dreißigjährigen Krieges, den Entwicklungsschritt von der auftragsbezogenen handwerklichen Einzelanfertigung zur arbeitsteiligen Herstellung einer Tischuhr, zwischen den geographisch weit auseinanderliegenden Städten Augsburg und Bremen, zu vollziehen und überzeugend zu dokumentieren:
Der Bremer Rath erteilt Hübner den Auftrag zur Herstellung einer „schönen Zeiguhr“ an deren Fertigstellung schließlich neben dem Bremer Uhrmacher auch ein Augsburger Kistler als Lieferant des kostbaren Werksgehäuses beteiligt wurde. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sich die Uhr zu einem komplexen Aggregat entwickelt, das aus einer Vielzahl von Bauteilen und Arbeitsschritten bestand, die verschiedene Anforderungen an handwerkliches Können stellten. Arbeitsteilung war nötig, der Uhrmacher wurde Auftraggeber für spezialisierte Vorlieferanten.
[1] Vgl. Lit. Abeler
[2] Vgl. Lit. Maurice, Band II, 201 b, Abbildung beider Stempelungen
[3] Vgl. Lit. Maurice, Band I, Seite 115
[4] Vgl. Lit. Hellwag, a.a.O., Seite 335, 461
[5] Vgl. Lit. Maurice, Band I, Farbtafel V
[6] Vgl. ANHANG
[7] Lit. Christiansen, Seite 38.
[8] Grohne aaO.
[9] (Rechnungsbücher, die alle Einnahmen und Ausgaben des Raths enthalten).
[10] Grohne: „Coch war der bremische Gesandte und Unterhändler bei den Friedensverhandlungen von Osnabrück und Münster; Durch seine Hände gingen außer den genannten Geschenken sonst noch enorme Summen, die dazu bestimmt waren, in der Form von Verehrungen und diskreten Zuwendungen, die bremischen Ansprüche auf Reichsstandschaft in dem diplomatischen Spiel gegenseitiger Ränke zu behaupten“. Erhebliche Bestechungsgelder und Sachleistungen an Beauftragte des Kaisers Ferdinand III., einem Gegner Schwedens, führten schließlich 1646 in Linz zur Unterzeichnung der Reichsstadturkunde, dank der sich Bremen der drohenden schwedischen Herrschaft entziehen konnte. Eine dieser politischen „Dedikationsuhren“ ist dann später in das Grüne Gewölbe nach Dresden gelangt und wurde 1929, durch Vermittlung des Kunsthandels, vom Focke-Museum Bremen erworben.