Foto Guéridon ‚Windspiele’Neue Materialien:

Neue Möglichkeiten!

Bei der ersten Begegnung mit unserem Guéridon ‚Windspiele', Berlin, um 1846, haben wir zunächst an ein Bildwerk aus patinierter Bronze denken müssen; doch die Haptik verweist auf eine fast vergessene, hohe Kunst in Preußen:

Der „Berliner Zinkguß“ wäre ohne die Förderung des Gewerbes und der Wirtschaft in Preußen nicht denkbar; mit seinem innovativen künstlerischen Stil verbindet man in erster Linie den Namen Moritz Geiß (1805-1875). Durch die Publikation seines Kataloges hat Geiss die stilbildende Funktion der ersten Zinkgüsse erfolgreich bekannt gemacht. Das 1834 entwickelte 'Geißsche Verfahren' ermöglichte es, Zink als Material für den Hohlguß zu verwenden, um vollplastische Bildwerke herzustellen.

Abgüsse von Antiken fanden weite Verbreitung, auch im Ausland, zumal Geiß es vortrefflich verstand, den Zinkguss bronzeartig zu patinieren. Außerdem wurden Schöpfungen bedeutender lebender Künstler gegossen, wie Kiß, Persius, Rauch, Schadow, Schinkel, Stüler, oder Strack, sodaß der Zinkguss bald populär wurde. Die ersten Möbel aus Zink sind auf das Jahr 1837 zu datieren.

Zeichnung Guéridon ‚Windspiele’Windspiele - die Lieblingshunde der Hohenzollern

Der Guéridon ‚Windspiele' ist ein zentrales Beispiel für die Umsetzung des innovativen Zinkgußverfahrens; sein Dreifuß mit Marmorplatte folgt typologisch verbreiteten römischen Vorbildern in Bronze und Stein, wie sie aus Pompeji und Herculaneum bekannt waren. Der Ziertisch reflektiert jedoch nicht nur die Antikenfunde des 18. Jahrhunderts: Vielmehr ist die Entwurfszeichnung (Abbildung) von Johann Heinrich Strack und ihre Umsetzung durch Geiß, gleichzusetzen mit einer ‚antiken' Neuschöpfung, verbunden mit der Zielsetzung, Vorbilder in neuen Materialien weiterzuentwickeln. Das Modell ‚Windspiele' reflektiert die künstlerisch eigenständige Entwicklung von Strack.

Der erst jetzt von uns in altem Schloßbesitz in Frankreich entdeckte Tisch ist bisher die einzig bekannte, exakte Ausfertigung, getreu der Zeichnung von Strack; Weder in den Schlössern bzw. Palais der Hohenzollern, noch in den Akten oder auf historischen Raumaufnahmen, konnte dieser Guéridon bisher nachgewiesen werden. Die Realisation in Zinkguss durch Geiß ist eine ästhetisch höchst anspruchsvolle Lösung, denn sie kommt ohne architektonische Verstrebungen und ohne konstruktive Verbindung der Füße aus. Das Tischgestell ist in der Art von Windspiel-Grotesken ausgebildet, angeordnet um einen Mittelbaluster mit Lorbeer- und Akanthusblattdekor; der abschließende Nodus wird von zwei vollplastisch modellierten Preußischen Adlern eingenommen.

Strack (Bückeburg 1805 – 1880 Berlin) studierte an der Berliner Bauakademie. In den Jahren 1825 bis 1832 betreute er im Atelier von Karl Friedrich Schinkel die Einrichtung der Wohnung für den Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Berliner Schloss, und 1827 bis 1832 unter Friedrich August Stüler den Umbau des Palais des Prinzen Carl. Nach Professur und Beförderung zum Hofbaurat war Strack hauptsächlich im Dienst des Thronfolgers Prinz Wilhelm von Preußen (dem späteren Kaiser) tätig, von dem er den Auftrag zur Fertigstellung des von Schinkel konzipierten und 1833 bis 1835 erbauten Schlosses Babelsberg erhielt. Sein Œuvre umfasst darüber hinaus zahlreiche Denkmäler, Kirchen und Brückenbauten. 1854 erfolgte die Berufung zum Professor an der Berliner Bauakademie als Nachfolger Stülers; 1876 erhielt er den Titel ‚Architekt des Kaisers'.

Schon mit seinen ersten Entwürfen greift Strack die vom preußischen Adel sehr geschätzten, aus England stammenden Strömungen des ‚Etruscan style' und des pompejanischen Stils auf. Sein stets kompromißloses Festhalten am Klassizismus prägt Strack als eine der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten der Nachfolgezeit Schinkels.

Der Guéridon wurde im März 2012 an den internationalen Kunsthandel verkauft.